Kühns Hörspiel liegt der Fall des Rentners Wilhelm Lehmann zugrunde, der im Mai 1943 in Berlin vor den Volksgerichtshof gestellt wurde, weil er in der Bedürfnisanstalt am Mariannenplatz folgende Inschrift an die Wand geschrieben hatte: 'Hitler, du Massenmörder, musst ermordet werden, dann ist der Krieg zu Ende.' --- Kühn interessiert nicht die Rekonstruktion des Prozesses,sondern die Technik der Unterwerfung, der Erniedrigung, der moralischen Liquidierung, für die in totalitären Systemen auch das Werkzeug der Justiz eingesetzt wird. Kritik am Staat wird nicht anerkannt, sie erscheint dem Vertreter des totalitären Systems grundlos, und so wird ein anderes Tatmotiv eingeführt und dem Häftling eingeredet. Die Technik, die der Untersuchungsrichter hierbei anwendet, könnte Analogien in den Moskauer Prozessen der dreißiger Jahre haben. Hier wurden die Opfer vor den öffentlichen Verhandlungen ohne Zweifel präpariert - wenn auch nicht mit 'tibetanischen Pulvern', wie das Bucharin in seinem Schlußwort ausdrücklich verneinte, auch nicht mit Hypnose, sondern wahrscheinlich durch pausenlose Bearbeitung. --- So ist der Vorgang dieses Hörspiels aus jedem direkten historischen Bezug gelöst. 'Auf diese Weise glaubte ich, mehr Freiheit für die Darstellung zu finden und das Typische stärker herausarbeiten zu können.' Die Erdiedrigung, die Unterwerfung, die Vergewaltigung vollzieht sich im Dialog. Das Opfer wird niedergeredet, zurechtgeredet, sein Bewußtsein in einer Art Gehirnwäsche verändert. Was stattfindet, ist eine langsame, verbale Zerstörung. Die Untersuchungsrichter benutzt nichts als die Sprache, um sein Opfer zu präparieren. |